Wie Du Dir selbst vergeben kannst
Aktualisiert: 17. Dez. 2020
Der Zank der Schwestern
Kürzlich wollte meine jüngere Tochter die Kleider meiner älteren Tochter anziehen, da sie ihr das am Vortag noch erlaubt hatte. An diesem Tag war meine ältere Tochter aber davon gar nicht mehr begeistert und so nimmt sie ihrer kleinen Schwester die Kleider weg. Es kam, wie es kommen musste und ein Streit brach aus. Es wurde geschimpft und geweint und es dauerte eine Weile, bis sich alle wieder beruhigt hatten.
Der Rauch legt sich
Auch ich brauchte eine Weile, bis ich die Aufregung, die durch den Zank entstanden war, wieder einigermassen abgebaut hatte. Schliesslich konnten wir wieder vernünftig miteinander reden, und ich war entschlossen, herauszufinden, weshalb meine ältere Tochter so reagiert hatte und ihre Kleider nicht mehr mit ihrer Schwester teilen wollte. Das Teilen war für meine Erstgeborene immer etwas schwierig – doch hin und wieder funktionierte es auch. So setzte ich mich mit ihr hin. Und so begann wohl das tiefste und bedeutungsvollste Gespräch mit ihr, das mir wahrlich die Augen öffnete.
Das wichtigste Gespräch
Ich frage sie, weshalb sie so einen Besitzanspruch habe. Es kam keine Antwort. «Was denkst Du, woher diese Verlustängste kommen», fragte ich sie weiter. Sie zuckt mit den Schultern: «Ich weiss nicht Papa, bin ich krank?» Ich entgegne ihr: «Nein, aber wovor hast Du solche Angst?» Dann kommt es aus ihr heraus. «Was wenn wir kein Geld mehr haben und dann nicht mehr hier wohnen können? Wenn wir nichts mehr zu essen kaufen können, werden wir sterben», meinte sie weiter. Ich erklärte ihr daraufhin, dass es eine Arbeitslosenversicherung und eine Sozialhilfe gebe und dass niemand verhungern müsse, wenn im Falle eines Jobverlusts kein Lohneinkommen mehr da ist.

Ich hatte schon früher eine dunkle Vorahnung. Doch als ich ihr das erklärte, kristallisierte es sich nun deutlich heraus und fiel mir plötzlich wie Schuppen von den Augen: Als ich zum ersten Mal Vater wurde, war ich, wie vermutlich viele junge Väter, erheblich überfordert. Ich war nun für ein hilfloses Kind verantwortlich und mir wurde klar, dass mein Lohneinkommen ein existenzieller Faktor im Wohlergehen und der unbeschwerten Kindheit meiner Tochter sein würde. Das hat mich in eine komplette Existenzangst getrieben. Die Themen Jobverlust, Geld und Familienunterhalt dominierten meinen Verstand so stark, dass für kaum etwas anderes mehr Platz war. Mein Denken und mein Handeln waren fast vollständig blockiert. Und obwohl ich versuchte, dies nicht zu zeigen, war ich für meine Tochter in ihrem Unterbewusstsein ein offenes Buch. Sie hat meine Existenzängste gespürt. Und sie hat wahrgenommen, dass sie selbst der Auslöser dafür war. Dadurch habe ich sie geprägt und die Ängste in ihr verursacht. Ich vermute, dass sie sich negative Glaubenssätze angeeignet hat wie «die Welt ist gefährlich» oder «ich kann jederzeit alles verlieren». Und als Schutzstrategie verteidigt sie nun vehement alles, was sie als ihren Besitz ansieht.
Als ich das realisierte, kamen mir die Tränen. Ich fühlte mich schuldig und war wütend auf mich selbst. Ich entschuldigte mich bei ihr für das Leid und die negativen Gefühle, die ich bei ihr verursacht hatte. Daraufhin hielt sie mir erneut den Spiegel vors Gesicht. Sie sagte, sie habe Angst, dass Mama und Papa plötzlich nicht mehr da oder tot sind. Diese Angst, so bin ich überzeugt, habe ich auch in ihr geprägt. Als ich mich im Überlebensmodus befand, war ich permanent überfordert. Mein negativer Glaubenssatz «Ich werde nicht ernst genommen» verbunden mit der Schutzstrategie «Flucht» waren in dieser Zeit sehr ausgeprägt. Manchmal überkamen mich Gedanken und Gefühle, alles hinzuschmeissen und mich aus dem Staub zu machen. Das hat meine Tochter auch gespürt und diese Verlustangst von mir gelernt. Ich entschuldigte mich wieder bei ihr und versicherte ihr, dass sie nichts falsch gemacht habe.
Verantwortung übernehmen
Das war emotional sehr aufwühlend für mic